Haugtussa Hintergrund

Haugtussa Hintergrund

Das Haugtussa Kollektiv besteht seit Frühjahr 2020 und hat sich durch die gemeinsame Faszination für einen Meilenstein der norwegischen Literatur formiert.

 

Entstanden ist ein Musiktheater über das Gedicht-Epos „Haugtussa” des norwegischen Schriftstellers Arne Garborg, dessen Werk außerhalb Norwegens bisher aus übersetzungstechnischen Gründen wenig bekannt ist.

Die Übertragung der Geschichte in 71 Gedichten ins Deutsche war eine große Herausforderung, die ein behutsames Vorgehen und ein Gespür für Sprache, Rhythmus, authentische Bilder und Zeitkolorit erfordert Martje Vande Ginste und Juliane Hollerbach widmeten sich dieser Aufgabe. Die erste vollständige Übertragung diente in erster Linie als Basis für die Dramatisierung, Adaptierung und Aktualisierung der Geschichte für das Theaterstück. Sie ist im März 2025 in Buchform bei Edition Rugerup erschienen.


Die tief berührende Coming-of-Age-Geschichte in 71 Gedichten über die junge Hirtin Veslemøy, die von den Dorfbewohner:innen aufgrund ihrer Hellsichtigkeit und ihrer besonderen Fähigkeiten „Haugtussa” (zu Deutsch etwa „Hügeltroll”) genannt wird, war bisher, wie bereits erwähnt, über Norwegen hinaus wenig bekannt. Lediglich acht Gedichte aus dem Buch wurden international berühmt, da Edvard Grieg sie kongenial vertont und in den Liedzyklus „Haugtussa” op. 67 aufgenommen hat.

Die im Jahr 1895 entstandene Erzählung nimmt einen besonderen Platz in der norwegischen Literaturgeschichte ein und spielt auch eine wichtige Rolle für die norwegische Identität. Das Buch ist mangels adäquater Übersetzungen kaum über die norwegischen Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Dabei ist es ein sehr berührendes Werk, das bis heute viele Künstler:innen aller Sparten in Skandinavien inspiriert. Es gibt Theaterstücke, Kompositionen, Bilder, Wandtapeten, Tanzproduktionen und vieles mehr. Überdies sind einige Gedichte aus dem Buch allgemein bekannte Volkslieder geworden.

Da Garborgs Sprache, der selbst ein hervorragender Musiker war, sehr rhythmisch und musikalisch ist, ist es nur folgerichtig, dass wir uns ihm im Dienste des theatralischen Ausdrucks ebenfalls mit musikalischen, perkussiven und tänzerischen Mitteln nähern. 


Der Freigeist Arne Garborg ließ sich weder literarisch noch inhaltlich in eine Schublade stecken, und dieser Haltung haben wir versucht, Rechnung zu tragen. Wie Arne Garborg selbst haben auch wir uns bei der Übertragung der Gedichte sämtlicher literarischer und musikalischer Stilmittel vom Mittelalter bis hin zu eigenen sprachlichen Neuschöpfungen bedient. 


Mit seinen gleitenden Erzählperspektiven ist das Buch eine Verarbeitung des Freitods von Garborgs Vater, ein Bildungsroman, ein „Dantesker“ Höllenritt, ein Panoptikum der norwegischen Mythologie und Literaturgeschichte sowie eine tragische Liebesgeschichte. Im Zentrum steht die verletzliche und dennoch starke junge Heldin Veslemøy, die sich in einer Welt wiederfindet, die an Herr der Ringe, Harry Potter, Game of Thrones und andere erinnert. Das Buch ist außerdem eine Liebeserklärung an die Bewohner und die Landschaft von Jæren in Südwestnorwegen. Sie übt einen großen Einfluss auf den Geist und die Seele der Protagonistin aus und wirkt wie eine Lupe auf ihre Gefühlswelt. Die Landschaft beeinflusst die Psyche der Hauptperson maßgeblich und fungiert unter anderem als Metapher für ihre seelische Entwicklung.


Merkmale dieser Landschaft sind die hagelweißen Strände und die mit Steinen übersäten Äcker, die bei jedem Pfluggang wieder tausendfach aus der Tiefe hochkommen und die Landwirte seit jeher in den Wahnsinn treiben. Prägend sind auch die Feldumrandungen, die mit diesen Steinen als Trockenmauern gebaut werden, um den Sand und den Wind von den Äckern fernzuhalten. Große Schaf- und Rinderherden grasen dort. Mächtige Trollsteine liegen ringsumher verloren in der Gegend, als hätten Riesen sie dort hingeworfen. Die baumlose, felsige und neblige Berglandschaft vermittelt das Gefühl, sich einsam in großer Höhe zu befinden. Doch dann stellt man fest, dass man gar nicht so hoch ist und in der Ferne das Meer sehen kann. Der weite, hohe Himmel wird von riesigen Wolkengebilden geschmückt, die im Buch „Elfenheime” erwähnt werden. Die karge Landschaft bietet der Hauptfigur in ihrer großen Verletzlichkeit kaum Schutz, als ob sie immer von allen und allem gesehen werden könnte und der Himmel sie erdrücken würde. Im Moor, das die Graslandschaft unvermittelt durchzieht, sucht sie nach Halt für ihre Füße.


Diese Stimmung hat die norwegische Fotografin Kristin Døvle in ihrem preisgekrönten Buch Haugtussa-Jærlandskap eingefangen. Ihre Landschaftsbilder dienen dem isländischen Filmemacher Rafnar Orri Gunnarsson als Inspirationsquelle für das Bühnenbild und die Videoprojektionen.


Die Landschaft, die Arne Garborg, der dort aufwuchs und als Jugendlicher selbst Hirte war, so stark geprägt hat, wird durch einen Klangteppich sowie kurze Improvisationen und musikalische Zitate zum Leben erweckt.


All dies wird nach dem Erfolg des Musiktheaters nun auch bald als Hörbuch mit Musik erscheinen (Edition Rugerup, 2026).